Buchvorstellung, China

Oder warum die Chinesen jetzt auf Scharfes aus Deutschland stehen.

Der etwas andere Reisebericht zum Land der Mitte, von Jeannine Halene

19.09.2019 – 17 Uhr – Flughafen Frankfurt/Main. Meine Wenigkeit (Jeannine Halene, Inhaberin der Düsseldorfer Werbeagentur Fan Factory GmbH und Gründerin der Präsentationsagentur Vorzeige Helden) sitzt gerade in der Lufthansa Business Class. Türen zu – und endlich: mein Handy gibt Ruhe. WLAN-Detox über den Wolken. Wie herrlich entspannend. Da kommt man endlich mal dazu, sich zu fragen: WAS MACHE ICH HIER EIGENTLICH?!

Aber spulen wir nochmal ein wenig zurück.


Ich, meines Zeichens Vortänzerin der Fan Factory (offiziell würde man wohl eher Vorgesetzte sagen), hatte bereits 2015 mein erstes Buch „Marketing jenseits vom Mittelmaß“ zusammen mit Co-Autor Hermann Scherer veröffentlicht. Das Buch erfreute sich glücklicherweise eines großen Erfolges, was uns viel PR brachte, sodass ich dazu auch einige Vorträge halten durfte.

links: Originalausgabe, rechts: Chinesische Veröffentlichung

2017 wurde mein Buch dann auch in China veröffentlicht. Eigentlich erhielt ich schon zwei Jahre zuvor die Anfrage, ob ich mein Buch nicht dort persönlich promoten wolle. Damals war ich aber gerade Mutter geworden, so trieben mich zu diesem Zeitpunkt ganz andere Themen um, als eine Auslands-Promotion in Fernost. Aber der chinesische Verlag blieb hartnäckig. So kommt es also, dass ich nun im Flieger sitze und mich frage: was wird mich wohl erwarten? Wie wird das chinesische Publikum auf mich und mein Buch reagieren? Ich habe keine Vorstellung. Ungewöhnlich für eine Strategin, wie mich.

Wie so oft, war alles in letzter Minute fertig geworden. Ich schätze, mein Team ist froh, dass ich jetzt erst mal weg bin und sie nicht noch weiter mit kurzfristigen, wilden Ideen nerven kann.

Angekommen! Nervös stehe ich am Flughafen in Shanghai und bin erleichtert, als ich meinen Namen auf einem Schild in der riesigen Ankunftshalle entdecke. Der Fahrer – ein Kontakt einer meiner Kunden – spricht sogar perfektes Deutsch. Und mehr noch: Er dreht die Wiesen-Hits im Auto laut auf und singt mit 😉 Auch im Laufe meiner weiteren Reise stelle ich immer wieder fest, dass die Chinesen offensichtlich total auf „German-Kram“ stehen!

Später am Abend führt er mich zum Essen aus. Er ist Unternehmer und auch in Deutschland sehr erfolgreich. Ein tolles Dinner, aber ich frage mich leicht besorgt, ob mein Magen das auch so sieht …

Noch am selben Abend muss ich im Hotel kleine Gast-Geschenke für meine chinesischen Fans fertigstellen, die ich in Einzelteilen durch den Zoll „schmuggeln“ musste. Man weiß ja nie, denn ich hatte im Vorfeld abenteuerliche Einfuhr-Anekdoten gehört. Das Präsent besteht aus einer gestalteten Postkarte mit einem original Löwensenf-Probierpäckchen. „Hoffentlich verstehen sie das“, denke ich mir, und bete, dass die Chinesen den Senf nicht Zweck-entfremden und mit einer Gesichtscreme verwechseln, was erwartungsgemäß fatal wäre – oder aber ein neues Geschäftsfeld für das herstellende Düsseldorfer Unternehmen. Aber Spaß beiseite.

Nach nur wenigen Stunden Schlaf geht es am nächsten Tag sehr früh los zu meiner ersten Lesung. Nachdem der Fahrer mich durch den Verkehrsdschungel in Shanghai manövriert hat, komme ich doch tatsächlich noch pünktlich in der von unserer chinesischen Verlags-Agentin ausgewählten Buchhandlung an. Mein erstes Learning: Alles in China hat extremere Dimensionen. Die „Buchhandlung“ gleicht eher einer riesigen Messehalle. WOW. Auffällig auch: Es gibt hier kaum klassische Book-Stores, sondern eher Shop-in-Shop Konzepte. „Das zieht mehr Kunden in unsere Geschäfte“,berichtet mir später der Manager. Vorne am Eingang steht ein Aufsteller, auf dem mein Buch und ich promotet werden.

Schnell stelle ich fest, dass man hier ohne Smartphone wirklich aufgeschmissen ist: Der Einlass zu meiner Lesung wird über einen Code auf dem Smartphone, der einzelne Besucher kontrolliert (auch aus Sicherheitsgründen), geregelt. Den Brownie, den ich noch spontan für meine Nerven brauche und kaufen will, kann ich leider nicht bezahlen – geht
auch nur digital. Nachdem ich versuche, die Situation mit meinem mitgebrachten Bargeld auf Englisch kurz und ohne großes Aufsehen zu regeln, was leider nicht funktioniert, erbarmt sich ein Teenager hinter mir, die kleine Süßigkeit zu spendieren, damit ich den Laden nicht noch länger aufhalte. Aber das war längst nicht alles: Neben Snapchat be- nötige ich noch zahlreiche weitere Apps, um hier zu überleben.

Besonders wichtig:
Eine Übersetzungs-App, denn die Chinesen haben es nicht so mit der englischen Sprache. Wer hätte das gedacht, selbst in großen Hotels begegne ich nur wenigen Menschen, die ein paar Brocken Englisch sprechen. Es liegt also nahe, dass extrem viel an Mediaspendings in Smartphone Content und Werbung investiert werden. Man spricht hier mittlerweile schon von der „Smartphone-Only-Gesellschaft“.

Zurück zu meiner Lesung: Nach meiner Ankündigung durch einen kurzen Film, der etwas über mich und das Buch erzählt, lese ich ein paar Szenen – natürlich muss alles von einer Dolmetscherin in die Landessprache übersetzt werden. Anschließend gibt es eine Fragerunde durch das anwesende Publikum und eine kleine Foto- und Autogramm-Session. Ich bin wirklich überwältigt. Ein Student sagt mir, ich habe ihm mit meinem Buch einen neuen Weg aufgezeigt und er wisse nun, dass er im Marketing arbeiten wolle. Eine Dame berichtet mir, es hätte Sie dermaßen inspiriert, dass sie sich als Designerin selbstständig gemacht habe. Die Menschen sind so interessiert und herzlich – damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Ich bekomme sogar diverse Geschenke. Nach weiteren Lese-Terminen an diesem Tag folgt ein Treffen mit dem chinesischen Verleger. Auch hier werden viele Fotos gemacht.

Angekommen in Peking:
Das Begrüßungskomitee kommt samt Familie sowie Geschenken und Blumen. Was für ein Willkommen!

Nach einigen weiteren Lesungen und Pressegesprächen habe ich ein wenig Zeit für einen Bummel im nahe gelegenen Einkaufszentrum. Und was entdecke ich da: Die Chinesen haben die Kinder-Leine erfunden (nicht, dass ich da nicht auch hin und wieder mal dran gedacht hätte, aber in Realität ist es doch schon etwas skurril). Auch schön ist ein Schaufenster, in dem ein Brautkleid neben einer Waschmaschine ausgestellt ist. Hier wird die
Katze direkt aus dem Sack gelassen. Warum romantische Hochzeitswerbung,
wenn wir doch eh alle wissen, wie es endet? Daher lieber gleich das Brautkleid neben dem Haushaltsgerät dekorieren und bewerben. Und sonst noch? … ach ja – Choo‘s gibt’s hier im Automaten. Soviel zum Thema attraktive POS.

Am nächsten Tag fahre ich ganz früh wieder zurück nach Shanghai. Es warten noch einige Interviews auf mich, die ich dort face to face mit Unternehmern führe. Nach diversen Gesprächen mit Marketingleitern und Geschäftsführern von großen, aber auch mittelständischen Unternehmen,
kann ich folgende Unterschiede zum deutschen Werbemarkt ausmachen: Die Webnutzung ist gewaltig in China. Über 800 Millionen Chinesen nutzen täglich das World Wide Web. Naja, nicht ganz, denn vieles wird von der Regierung reglementiert und geblockt. Die Entwicklung geht rasant weiter. Schon dieses Jahr soll 5G großräumig eingeführt werden.

In meinen Meetings erfahre ich, dass ein „Mailing“ postalischer Natur dort quasi undenkbar ist. Einfach etwas verschicken – das geht doch nicht. Ist wohl auch nicht mit der zurückhaltenden, asiatischen Mentalität zu vereinen. Print ist stark rückläufig. Ist allerdings dann, wenn es zum Einsatz kommt, sehr viel farbenfroher als bei uns in Europa. Einige Designs wirken fast kitschig nach westlichem Geschmack. Werbung soll zum „Träumen“ anregen, so die Erklärung auf meine Anmerkung. Logos folgen oft glücksbringenden Zeichen und Formeln. Da kann man auch mit noch so vielen Argumenten als Markenstratege nicht punkten.

Bunt darf es also sein, aber definitiv nicht grenzwertig. Dies bekamen sogar schon weltbekannte Marken wie Adidas und IKEA in China zu spüren. Besonders vor diesem Hintergrund frage ich mich, warum mein Buch, welches sich ausschließlich mit extravaganten und auch anstößigen Kampagnen beschäftigt, beim chinesischen Publikum so gut ankommt.

Auszug der „Best Practise“ Kampagnen, MJVM

Tatsächlich werde ich bei einer meiner Lesungen höflich gebeten, genau diese Beispiele doch bitte nicht vorzustellen. Die Frage nach dem Warum soll sich später in Gesprächen mit der dortigen IHK klären. Offensichtlich gibt es in Deutschland eine Menge chinesischer Konzerne, die tolle Produkte haben, allerdings nicht wissen, wie sie diese hier vermarkten sollen bzw. wie die Werbung verpackt sein muss, damit der Europäer sie auch kauft.

Eines meiner Interviews führe ich in einem Roboter-Café. Ja, Sie haben richtig gelesen. Hier gibt es keine „echte“ Bedienung. Alles ist automatisiert. Wirklich schräg und unpersönlich, wie ich finde. Aber ein Erlebnis. Natürlich muss man auch hierzu wieder eine App haben. Über die kann ich dann ein Essen auswählen und eine Art Servier-Roboter bringt mir dann das gewünschte Mahl. Na wenigstens will der kein Trinkgeld … Froh bin ich allerdings schon, als ich auf dem Rückflug bei der Lufthansa die „German
Brotzeit“ bestellen kann (natürlich mit Löwensenf).

Zuhause ist es eben doch am schönsten!

Was ich über China und seine Einwohner gelernt habe:

1. Die Chinesen stehen auf alles, was aus Europa kommt.
2. Alles in China hat extremere Dimensionen (unser Groß ist bei denen Klein)
3. Ohne Smartphone sind die Chinesen nicht lebensfähig.
4. Sie brauchen Englisch-Nachhilfe.
5. Werbung macht man da, wo gerockt wird – im Smartphone.
6. Vorsicht bei Gesten und Gewohnheiten: Sie bedeuten hier oft etwas ganz anderes.
7. Die Massen an Menschen, die sich hier überall tummeln, sind für uns unvorstellbar.
8. Halte dich an die Regeln – sonst ist dein Handy weg.
9. Kinder werden angeleint.
10. Luxusartikel kommen aus dem Automaten.
11. Wer sich nicht entscheidet – verhungert.
12. World Wide Web müsste in China heißen: „Only-what-we-want-you-to-see Web“.
13. Auch Werbung wird zensiert.
14. Wanted: German Werbe-Know-How!
15. Das Essen wird von Robotern serviert.

- Jeannine Halene